In der Arbeit mit Trauma begegnet uns natürlich auch immer wieder die Arbeit mit Betroffenen von Katastrophen. So hat auch der aktuelle Krieg in der Ukraine ein großes Traumapotenzial. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, die natürlichen emotionalen Reaktionen in den verschiedenen Phasen eines Desasters zu kennen und zu wissen, wie und wo Traumaprävention gut stattfinden kann.
In der Phase der WARNUNG gibt es vielleicht Verunsicherung über die Anzeichen und eine erste spürbare Nervosität. Eine gewisse Alarmbereitschaft ist bereits vorhanden.
Setzt dann die Katastrophe ein, geht es um das pure Überleben. Impulse wie Kampf/Verteidigung und Flucht (Mobilisierung) oder aber Erstarrung (Immobilisierung) sind dabei grundlegende Überlebensreaktionen, die wir selten bewusst steuern können.
Der Schock sitzt tief in den Knochen – und da muss er im Endeffekt auch wieder raus. Ein Merkmal von Katastrophen ist, dass sie zu heftig und zu schnell über einen Menschen hereinbrechen. Daher bleibt keine Zeit zur Orientierung. Ein Gefühl von Ohnmacht und Orientierungslosigkeit setzt ein.
Sind Kampf/Verteidigung und Flucht aussichtslos, greift der Erstarrungsimpuls. Dann haben wir es mit einer hohen Immobilisierung zu tun, die die darunter liegende Mobilisierungsenergie bremst. Der wirklich kluge “Vorteil” der Erstarrungsreaktion ist, dass wir im Falle des Todes die Schmerzen nicht mehr spüren. So bitter es ist, so genial ist es auch.
Verringert sich die Gefahr im Außen, geht mit der Zeit auch der innere Alarm etwas runter. Die sympathische Aktivierung lässt etwas nach, die Super-Energie, die in den letzten Tagen zur Verfügung stand, schwindet.
Früher oder später lassen so bei den Menschen die Kräfte nach. Wenn sie in einer halbwegs sicheren Unterkunft sind, kann ihr Nervensystem beginnen sich zu regulieren. Dann kommen die ersten Erschöpfungsanzeichen. All die Emotionen, die während des Überlebenskampfes der vegangenen Tage möglicherweise nicht spürbar waren, kommen nun mit voller Wucht zum Vorschein. Das ist NORMAL und GESUND. Auf diese Weise kann sich die extreme innere Anspannung nach und nach lösen.
An diesem Punkt ist es wichtig, gute Tools an der Hand zu haben, um mit den aufkommenden Emotionen umgehen zu können. Es geht darum, die unangenehmen Zustände nicht zu verdrängen, sich nicht immer abzulenken, nichts wegzureden.
Mit der ausklingenden Phase der RETTUNG, kommt wieder etwas mehr Sicherheit in das Nervensystem und die Immobilisierung kann nachlassen. Jetzt kann die Mobilisierungsenergie wieder voll zum Einsatz kommen. Es gibt eine Welle der Hilfsbereitschaft und es ist kaum auszuhalten, nicht zu helfen. Mit vereinten Kräften werden Vermisste gesucht (und geborgen), es wird gemeinsam Unmögliches vollbracht. Es werden Held*innen geboren. Die gesellschaftliche Solidarität und Spendenbereitschaft motivieren und machen Hoffnung. Die Presse ist vor Ort, überall wird berichtet, die Politik scheint sich zu bewegen, Zwiste und Unterschiede zwischen den Menschen verschwinden. Die Menschen erleben Gemeinschaft, Kraft und Wirksamkeit.
In der Hochphase, den “FLITTERWOCHEN” entstehen Altruismus, Optimismus und Dankbarkeit. Unmögliches wird und wurde gemeinsam geschafft.
Trotz aller Kraftanstrengungen und Höchstleistungen in den “Flitterwochen” ist die Krise nicht vorbei. In der vierten Phase wird das gesamte Ausmaß der Katastrophe deutlich. Die Hoffnung schwindet: es werden keine Überlebenden mehr gefunden, sondern nur noch Tote geborgen. Die Erfolgserlebnisse bleiben aus. Die Presse widmet sich anderen Themen und das Gemeinschaftsgefühl lässt mehr und mehr nach.
In dieser Phase kann es zu Schuldzuweisungen kommen, zu Fake News, zu spaltenden Verhaltensweisen. Meist sind diese Verhaltensweisen ein Versuch des Nervensystems, sich zu regulieren. Wenn keine adäquate Möglichkeit zur Regulation besteht, muss es irgendwie anders “Dampf ablassen”.
Wenn all die Emotionen und Stresszustände der Desillusionierung nicht ihren Ausdruck finden können, bleibt die damit verbundene Energie im Körper stecken. Das kann zu Traumasymptomen führen.
Weiter unten zeige ich Dir Möglichkeiten, was Du in diesen Momenten tun kannst, um dem, was auftaucht, Raum zu geben. Auch präventiv und auch in kleinen Häppchen. Nicht alles auf einmal, denn das kann manchmal etwas überwältigend sein.
(Dies ist eine Kurzversion)
Traumapräventionsmaßnahmen, Übungen zur Förderung der Selbstregulation, seinen Emotionen Ausdruck verleihen – all dies kann den “Absturz” mildern und auch die Recoveryphase, die Erholungsphase, verkürzen.
Die Recovery-Phase ist geprägt von Triggern, die Erlebtes wieder hochkommen lassen, aber auch von Heilungsprozessen und Akzeptanz des Geschehenen. An diesem Punkt profitieren Menschen von guter therapeutischer Unterstützung. Die wiederkehrenden Trigger verlieren durch Integrationsprozesse mehr und mehr an Durschlagskraft. Ohne traumapräventive Maßnahmen dauert der Prozess der Integration wesentlich länger als mit entsprechenden Maßnahmen, die bereits von Anfang an nach der Rettung die Selbstregulation des Nervensystems fördern.